CDs
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NEUES
AUS
DER
M U S I K W E L T
von Thomas Hintze
Aus seiner umfangreichen CD-Sammlung
fischt der Jazz-Kenner und -Liebhaber
Thomas Hintze für die STEREO-Leser jeden
Monat die schönsten Schätze. Im Folgenden
widmet er sich den Standards.
Meine Entdeckung des Jahres
Stefano Bollani
E
s ist immer wieder ein großes
Vergnügen, neue Musiker zu
entdecken. Eine ausgezeichne-
te Quelle dafür ist das Internetra-
dio. Unter der Adresse jazzradio.
com findet man nach Sparten auf-
geteilt einen schier endlosen Fun-
dus. Das Gute ist, dass das Cover
und der Künstler im Display ange-
zeigt werden, so dass man sogleich
ins Netz gehen kann, um zu prüfen,
ob die jeweilige CD käuflich ist. Ge-
nauso ging es mir mit dem italieni-
schen Jazzpianisten
Stefano Bolla-
ni
. Meine bevorzugte Sparte ist „Pi-
ano Trios“, wo ich Bollani entdeck-
te. Weil er mir sehr gefiel, wollte ich
als Nächstes wissen, was er sonst
noch aufgenommen hat, besonders
in seiner frühen Periode. Über die
Anspielfunktion bei den CD-Shops
habe ich mich schon oft geärgert,
denn sowohl Qualität als auch Aus-
wahl der Hörpassagen sind meist
ungenügend. Deshalb ist das Strea-
ming-Portal Spotify ein absolutes
Muss für mich, denn es ermöglich-
te mir, Bollanis unglaubliche Viel-
seitigkeit zu entdecken.
fast lyrischen Tongebung. Damit
Sie einen ersten Eindruck erhal-
ten (vielleicht teilen Sie ja meine
Begeisterung), empfehle ich die
CD
„Rava Plays Rava“
(Philolo-
gy), wo wir die beiden im Duo hö-
ren. Großartig im ersten Titel „Le
solite cose“ , wie Rava mit seiner
Trompete das Stück eröffnet, um
dann an Bollani zu übergeben. Ich
war sofort fasziniert, wie sie schier
schwerelos miteinander musizie-
ren. Dabei merkt man an keiner
Stelle, dass hier Mentor und Schü-
lani fand seine Musiker mit
Jesper
Bodilsen
(Bass) und
Morten Lund
(Schlagzeug) in Dänemark. Weil
Bollani (wie viele Jazzmusiker) im-
mer auf der Suche nach neuem Ma-
terial für seine Musik ist, kam ein
wunderbares Album unter dem Ti-
tel
„Gleda - Songs From Scandi-
navia“
(Stunt) heraus. Was für ei-
ne große Überraschung für mich,
wie Bollani hier Lieder aus Skan-
dinavien arrangiert hat. Nicht zu-
letzt daraus resultiert ein groß-
artiges Ensemblespiel ohne jeg-
Ares Tavolazzi (Bass) und Walter
Paoli (Schlagzeug). Es klingt, als
wollte Bollani beweisen, dass er
auch Standards hervorragend in-
terpretieren kann. Venus Records
ist ein japanisches Label, doch auf-
genommen wurde in Rom. Diese CD
wird ganz gewiss nochmal in mei-
ner Serie „Standards“ auftauchen,
doch will ich Sie nicht so lange war-
ten lassen. Ganz anders als bei
„Gleda“ swingt es hier ungemein.
Spielen Sie einfach mal „Makin’
Whoopee“ an, Sie werden bis zum
Ende der CD („But Not For Me“)
nicht mehr aussteigen können.
Bollani macht so unterschiedli-
che Musik, dass jedes dieser Al-
ben für eine Überraschung gut ist.
So ging er für die vierte hier emp-
fohlene CD nach Brasilien, um
„Ca-
rioca“
(Emarcy) mit einheimischen
Musikern aufzunehmen. Hier prä-
sentiert sich nun wieder ein ganz
anderer Bollani, der erstaunliche
Arrangements a la Brazil geschrie-
ben hat. Da blitzen Gitarren auf,
und Percussion lässt die Füße wip-
pen, wobei der Bass das Funda-
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JAZZ
Enrico Rava, Stefano Bollani:
Rava Play Rava
Stefano Bollani, Jesper Bodilsen,
Morten Lund: Gleda
Stefano Bollani Trio:
I'm In The Mood For Love
Stefano Bollani: Carioca
Ich will Sie nicht mit einem aus-
führlichem Lebenslauf von Stefa-
no Bollani langweilen, deshalb sei
nur so viel gesagt: Nachdem er
am Konservatorium in Florenz sein
Studium als Pianist abgeschlossen
hatte, tummelte er sich eine kurze
Zeit in der Popmusik, fand dann
letztlich aber doch zum Jazz. Nicht
unbeteiligt daran war der italieni-
sche Jazztrompeter
Enrico Rava
,
Bollani selbst bezeichnet ihn als
seinen Mentor. Sicher ist mir Bol-
lani als Pianist auch auf der einen
oder anderen Platte von Rava be-
gegnet, zählt dieser doch zu mei-
nen europäischen Lieblingstrom-
petern mit seiner wunderbaren,
ler am Werke sind. Das musikali-
sche Zwiegespräch ist der beson-
dere Reiz dieser CD.
Nach diesem Einstieg soll die
nächste CD ein Klaviertrio sein,
schließlich entdeckte ich auf die-
sem Weg ja wie erwähnt die Mu-
sik Stefano Bollanis bei jazzra-
dio.com. Für einen Pianisten ist
die Gründung eines Trios oft mit
einer grundlegenden Entschei-
dung in Sachen Mitstreiter ver-
bunden. Man denke nur an Oscar
Peterson, Keith Jarrett oder Monty
Alexander: Ersterer hat Bassisten
und Schlagzeuger lange Zeit nicht,
Jarrett und Alexander gar bis heu-
te nicht gewechselt. Stefano Bol-
lichen Anstrich von volkstümeln-
der Attitüde - eine „richtige“ Jazz-
platte, die es neben CD auch als Vi-
nylscheibe gibt. Meist stellt Bolla-
ni, wie in dem Titel „ Morgenlicht
über Kopenhagen“ , das Thema
kurz vor, und dann geht es zur Sa-
che. Übrigens, der Bassist Jesper
Bodilsen kann seinen Lehrmeister
Niels Henning 0rsted Pedersen
nicht verleugnen. Er spielt seinen
Part sehr souverän, so dass auch
er für mich eine Entdeckung war.
Kam „ Gleda“
2005
heraus, dann
entstand die CD
„In The Mood For
Love“
des Stefano Bollani Trios
(Venus) ein Jahr später, diesmal
aber mit den italienischen Kollegen
ment bildet. Längere Zeit war er
mit diesem seinem Lieblingspro-
jekt auch auf Tour.
Jetzt schließt sich der Kreis,
denn Bollani ist mit seinen däni-
schen Kollegen zu ECM Records
gegangen und hat dort bereits acht
CDs aufgenommen; teilweise mit
seinem Trio, aber auch mit Chick
Corea im Duo oder wieder Enrico
Rava; die letzte ECM-CD „Joy In Spi-
te Of Everything“ sogar mit zusätz-
lichem Tenorsaxophon und Gitarre.
Jetzt stehen sie bei mir alle neben-
einander im CD-Regal. Egal, welche
Periode, Stefano Bollani bleibt im-
mer ein wunderbarer Musiker. Viel
Freude, Ihr Thomas Hintze.
Das DR-Logo gibt den Dynamikumfang des Tonträgers an. Nähere Infos unter www.stereo.de
STEREO 1/2015 139
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